Im Fokus: Insekten und Menschen
„Wir züchten alles, was kein Mensch im Haushalt haben will“, sagt BioGenius-Geschäftsführer Mike Bublitz. Das Unternehmen ist eines der führenden Laboratorien Europas für Wirksamkeitstests von Insektenschutzprodukten. Es beherbergt im TechnologiePark Bergisch Gladbach mehr als 26 Arten von schädlichen Insekten, darunter vier Mücken- und drei Kakerlakenarten. Vor 20 Jahren gegründet schaut der Geschäftsführer auf stetiges Wachstum zurück.
So außergewöhnlich wie das Geschäftsmodell ist auch die nahezu geräuschlose Transformation der vergangenen Jahre: Generationenwechsel in der Geschäftsführung, Neuaufstellung des Führungsteams, 180-Grad-Wende in der Unternehmenskultur. Nebenbei erhielt BioGenius mit einer Holding einen neuen Eigentümer. 2025 wird Mitgründer und Geschäftsführer Mike Bublitz mit 60 Jahren aufhören. Beschlossen hat er dies bereits vor fünf Jahren. Ebenfalls zu diesem Zeitpunkt entschied er, sich für einen reibungsfreien Übergang Unterstützung durch ein Beratungsunternehmen ins Boot zu holen.
BioGenius GmbH
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www.biogenius.de
Mike Bublitz (r.) und sein Nachfolger Alexander Brux
„Wir wissen, wie Insekten sich verhalten.“
Manchmal spricht Mike Bublitz scherzhaft von seinen „eineinhalb Millionen Mitarbeitern“. Zählen kann sie niemand. „Wenn Sie Produkte entwickeln, müssen Sie das Verhalten der Insekten kennen“, sagt Bublitz. „Banales Beispiel: Wenn die Küchenschabe auf dem Küchentisch nicht abhaut, wenn Sie das Licht anmachen, dann haben Sie ein Problem.“ Anderes Beispiel: Man muss wissen, wann Mücken stechen und wann nicht. Licht zum Beispiel ist einer Malaria- oder einer Tigermücke völlig egal. Das alles ist wichtig, um die richtigen Insektenschutzprodukte zu kreieren, aber auch um die Tests zu definieren, ob die Mittel wirken.
Was kann man falsch machen? „Alles“, sagt der Fachmann achselzuckend. Es beginne bei der Auswahl der Insekten, bei denen stets Alternativen berücksichtigt werden müssen. „Wenn Sie da schon anfangen, die falschen zu nehmen, ist das Risiko hoch, dass das Produkt nicht bei der Behörde durchgeht.“
Schutz vor Krankheiten weltweit
Die Prüfung auf Wirksamkeit findet im Labor, aber auch in wohnungsähnlichen Räumen statt. Für die Kunden sind sie entscheidend für die Zulassung ihrer Produkte. Dazu kommen weitere Kriterien, die sich mit Analysen feststellen lassen: Inhaltsstoffe, Nebenwirkungen, Haltbarkeit und vieles mehr.
Ein Mückenstich mag jucken und lästig sein, doch angesichts von Krankheiten wie Malaria, Gelbfieber, Dengue Fieber, ZIKA Virus, FSME oder Fadenwürmer, die von Insekten übertragen werden können, geht es darum, dauerhaft wirksame und schützende Produkte zuzulassen, die den Menschen weltweit ein sichereres Leben ermöglichen.
Freie Labore wie BioGenius sind eher selten. In Europa gibt es ganze fünf. Die großen Player sind Chemie-Konzerne, der Marktführer in den USA, viele in Asien, aber auch im Mittleren Osten, Afrika oder Japan. Insektenplagen einen die Welt. BioGenius arbeitet heute für Kunden in mehr als 50 Ländern.
Ameisen im Labor der BioGenius GmbH
Der Wirkungstest im Labor
Know-how und 360-Grad-Angebot
Im Dezember 2004 war Bublitz einer von vier Gründern. Er hatte bereits über 20 Jahre im Bayer-Labor vornehmlich mit Insektiziden gearbeitet, als der Bereich verkauft wurde, und der neue Eigner ihn schloss. An diesem Punkt ergriffen die Gründer die Chance, eine eigene Erfolgsgeschichte zu schreiben. Sie begannen mit neun Mitarbeitern, 800 Quadratmetern in Monheim, drei Kunden sowie Know-how, Erfahrung und Netzwerk aus vielen Jahren in ihrem Nischengeschäft.
„Man kannte uns, und man wusste, was wir können“, sagt Gründer Bublitz. BioGenius beteiligte sich früh an den EU-weiten neuen Zulassungsanforderungen für Biozidprodukte. „Wir wussten, dass die Richtlinie kommt, und wir waren vorbereitet. Das hat uns einen erheblichen Vorteil verschafft“, erklärt Bublitz die schnell einsetzende Expansion. 2007 zog BioGenius in den TechnologiePark Bergisch Gladbach. Heute hat sie dort rund 30 Mitarbeiter auf 3000 Quadratmeter Fläche. „Garant für den Erfolg war ein Alleinstellungsmerkmal: Analyse sowie biologische Wirksamkeitstests und Produktentwicklung unter einem Dach, als 360 Grad-Komplettpaket“, sagt Bublitz.
Vor zehn Jahren weitete BioGenius seine Tätigkeit aus. Im Insektenschutz ging es nicht mehr nur um das Vernichten von Schädlingen, sondern auch um den Schutz auf Haut und in Räumen. Zusätzliche Produkttypen wie Desinfektions- und Hygieneprodukte, Konservierungsstoffe und Nagetierbekämpfungsprodukte machen im Analysebereich inzwischen rund die Hälfte aus. Das Geschäft expandiert nun weltweit mit einer deutlich höheren Anzahl an Wirkstoffen. „Dem Analysegerät ist das egal“, sagt Mike Bublitz. Die Testmethoden orientieren sich eng an den EU-Richtlinien und internationalen Standards, darunter denen der WHO. Schnell wuchs auch weltweit die Reputation bei Kunden und Behörden.
„Wenn Sie Produkte entwickeln,
müssen Sie das Verhalten der
Insekten kennen“, Mike Bublitz.
Zeit für Veränderungen bricht an
Vor acht Jahren starb eine der Gründerinnen. „Das war ein herber Schlag“, sagt Bublitz, der heute der einzige noch im Unternehmen verbliebene Gründer ist. Die Zusammensetzung der Gesellschafter änderte sich, während für Bublitz weiterhin feststand, mit 60 nach weitestgehend urlaubsarmen Jahrzehnten den Ruhestand zu beginnen. Vor fünf Jahren begannen er und sein Führungsteam den Generationenwechsel einzuleiten.
Schon immer war der frühere Chemielaborant ein Verfechter von Weiterbildung. „Das ist für Führungskräfte zwingend“, sagt er. „Hätte ich die Seminare bei Bayer nicht gemacht, hätte ich BioGenius nicht gegründet.“ Als Geschäftsführer von BioGenius belegte er Seminare bei der Kölner Unternehmensberatung SPRACHKULTUR GmbH. „Ich fand das sehr faszinierend, daher bin ich auf die beiden Geschäftsführer mit meiner Situation zugegangen.“ Es war der Beginn einer intensiven, bis heute andauernden Zusammenarbeit.
Beratung ohne Agenda, aber mit Beteiligung
BioGenius und SPRACHKULTUR standen zu jeder Zeit in kontinuierlichem und gutem Kontakt. „Regelmäßig pro Quartal fand ein halb- bis eintägiges Treffen mit den Führungskräften statt, in dem wir gemeinsam entwickelten. Es gab keine Agenda von Sprachkultur“, sagt Bublitz. Das etablierte Beratungsunternehmen setzt statt auf eine Standard-Agenda auf eine systemische Betrachtung und auf passgenaues Steuern abhängig von den individuellen Gegebenheiten zu jedem Zeitpunkt der Beratung.
„Ziele, Strukturen, Mitarbeiter und Umfeld sind für uns ein System, in dem eins vom anderen abhängt“, sagt der Geschäftsführer Boris Jermer. „Um an einzelnen Stellen sinnvoll und nachhaltig neu zu verdrahten, ist der Blick auf das komplette Netzwerk notwendig.“ Weil alles zusammenhängt, sollten auch alle an den Entscheidungsprozessen beteiligt werden.
Boris Jermer, Geschäftsführer der SPRACHKULTUR
Einbeziehung des ganzen Teams
In einer „Spurgruppe“ kamen regelmäßig Mitarbeitende zusammen, die aus verschiedensten Blickwinkeln etwas beitragen konnten und als Multiplikatoren wirkten. „Es war interessant, wie dort herauskam, was die Menschen bewegt und worüber sie reden wollen“, erzählt Bublitz. Boris Jermer nennt dies einen strukturierten Beteiligungsprozess. „Hier haben die Mitarbeiter auch die Möglichkeit, sich ohne die Anwesenheit von Führungskräften einzubringen. Dabei kommen Unsicherheiten und Schwierigkeiten häufig schneller auf den Tisch.“ Zu anderen Gelegenheiten kam das komplette Team zusammen, um beispielsweise an einer neuen Mission zu arbeiten („Gemeinsam gewissenhaft testen“). Es ging um Fragen wie: Was können wir besser machen? Wie geht es weiter mit BioGenius?
„Es war sehr weise, das so früh anzugehen, auch wenn man sich damals die Augen gerieben hat“, sagt Boris Jermer. „Aus unserer Erfahrung, passiert das aktive Angehen des Generationenwechsels viel zu spät und häufig im stillen Kämmerlein. Wenn beides zusammenkommt, endet das selten gut.“
Es stand fest, dass auch ein weiterer Mitgesellschafter aus Altersgründen ausscheiden würde. Der Plan war, dann die Führungsmannschaft neu aufzustellen, zu ertüchtigen, zu etablieren und das Zepter an die Nachfolgegeneration zu übergeben. „Next Generation“ wurde das Projekt genannt. Bezüglich der Gesellschafter war der Plan, dass einer der anderen Gesellschafter übernimmt, so dass die Anteile der anderen voll übergeben werden können.
Murphys Law
Doch, so Boris Jermer: „Was die meisten verschlafen, ist, dass man beim ersten Schuss selten einen Treffer landet. Laut Murphy kann sehr viel schiefgehen.“ Schief ging der Plan mit dem vorgesehenen geschäftsführenden Gesellschafter. Plötzlich stand man ohne da und musste handeln. Die Absicht, die zukünftigen Entscheidungsträger aus der Reihe der Mitarbeiter auszuwählen, blieb bestehen. Das Ziel: Maximale Stabilität und Kompetenz sichern.
Viele Gespräche und einige Verschiebungen später wurde zu Beginn des Jahres 2022 eine Doppelspitze in der Geschäftsführung mit Mike Bublitz und Alexander Brux etabliert. Brux ist seit 13 Jahren im Unternehmen und wenig mehr als halb so alt wie sein Chef. „Er konnte sich das am Anfang gar nicht vorstellen“, sagt Bublitz. „Das war ein großer Schritt, zu dem er sich da entscheiden musste.“
Zudem übernahm Dr. Catherine Linn die Leitung der biologischen Abteilung und der Insektenzucht und Susann Bobe die der internen Qualitätssicherung. Am Ende stand das, was das Ziel war: Eine drastische Verjüngung des Führungsteams und die Gewinnung eines Nachfolgers als Hauptgeschäftsführer. „Das passt jetzt auch zum Team“, sagt Mike Bublitz. Nur drei Mitarbeitende sind über 40 Jahre alt; die Frauenquote ist überdurchschnittlich hoch.
Verkauf der BioGenius ohne „Gerumpel“
Herausfordernd blieb das Thema Gesellschafter. „Eine Übernahme der Anteile muss man auch finanzieren können. Und man muss es wollen“, sagt Bublitz. Am Ende blieb nur der Verkauf an einen Externen. Nicht das, was er angestrebt hatte. „Anders hätte ich aber nicht aussteigen können ohne Folgen für das Unternehmen“, erläutert er. Auch das wurde offen im ganzen Team kommuniziert. „Das war fast schon ein Übermaß an Transparenz“, blickt der Geschäftsführer zurück. Es wurde erklärt, was Gesellschafter überhaupt sind, welche Unsicherheiten mit der aktuellen Lage verbunden sind, und was die Geschäftsführung plant zu tun. Bublitz: „Es gab relativ wenig Gerumpel und Gemurmel. Alles, was danach kam, wurde wohlwollend akzeptiert. Es gab keinen Raum für Gerüchte.“
In einem strukturierten Prozess wurden Kriterien für die Auswahl unter den sechs Interessenten definiert. Einer von diesen wollte nur die Kunden kaufen, was nicht in Frage kam. Die drei Hauptkriterien waren: Sicherung der neuen Geschäftsführung, Sicherung der Mannschaft und Sicherung des Standorts. Seit dem 31. Juli 2024 ist BioGenius Teil der Laborgruppe viridiusLAB AG mit vielen Labors und mehreren hundert Mitarbeitern. „Wir können das Potenzial des neuen Besitzers nutzen und sind nun sogar breiter aufgestellt. Das war der richtige Weg“, sagt Mike Bublitz.
Und dann noch eine neue Unternehmenskultur
Als wenn das alles nicht gereicht hätte, sollte das „System“ BioGenius parallel auch einen Kulturwandel erfahren. „Wir wollten den Spirit ändern“, sagt Mike Bublitz. Häufig wird dies auch Mindset oder Haltung genannt. Immer hat es etwas mit Führungsstil zu tun. Nie ist es eine Kleinigkeit, denn Unternehmenskultur funktioniert nicht auf Knopfdruck, sie muss wachsen.
„Bei jeder Zusammenkunft haben wir geschaut, welche Impulse wir wie weit spielen können“, so Boris Jermer, „und wir haben gemeinsam reflektiert: Wo stehen wir? Welche Impulse zeigen Wirkung? Was läuft in eine Sackgasse?“ Die Ziele: Teamzusammenhalt, mehr Eigenverantwortung und Selbstständigkeit, Mitarbeiter gewinnen und halten können. „Das Verhalten im Alltag soll weniger durch die Anweisung durch Führung und viel mehr hin zu echter Eigenverantwortung“, so der Berater. „Und am Ende dahin, dass die Mitarbeiter ihre Frage selbst beantworten, und entsprechend entscheiden und handeln.“ Ein Beispiel ist die Urlaubsfreigabe, die nicht mehr über die Führungskräfte läuft, sondern innerhalb der Teams eigenständig geklärt wird.
Die richtige Auswahl ist wichtig
In der Analyse
Resultate prüfen
Zusammenwachsen von Team und Abteilung
Das Onboarding wurde komplett verändert. Mitarbeiter werden bereits im Bewerbungsprozess eingebunden und haben ein Veto-Recht. „Die Feedback-Gespräche sind recht eng getaktet“, sagt Jermer. „Nicht erst kurz vor Ende der Probezeit nach dem Motto ‚Wird sich schon ruckeln‘.“ Probleme und Unsicherheiten werden offen angesprochen. Ergebnis? „Neue Mitarbeiter sind überrascht, wie schnell sie eingebunden werden – und plötzlich wollen sie bleiben“, resümiert Bublitz.
Bewusst wurden neue Methoden und regelmäßige Teamtreffen integriert. Die beiden traditionellen Bereiche mit den Chemikern in der Analyse und den Biologen beim Wirkungstest sind nun auf einem Flur und nicht mehr 50 Meter voneinander entfernt. „Das waren ‚AB-Teilungen‘, die kaum etwas voneinander wussten“, erzählt Boris Jermer. Bublitz ergänzt: „Heute halte ich es sogar für möglich, dass sie irgendwann mehr als aktuell als Springer zwischen den Bereichen agieren können.“
Mike Bublitz spricht viel über Führungsstil und Mindset. „Kommunikativ, flexibel und offenherzig“ wünscht er sich die Menschen im BioGenius-Team. „Sie sollen Lust darauf haben, Sachen auszuprobieren, sich zu entwickeln.“ Und schließlich gibt es da noch eine Besonderheit: BioGenius steht unter bundesbehördlichem Zertifikat. „Da ist vieles streng reglementiert und dann heißt es: kein Millimeter links oder rechts – nicht denken, nur machen“, erklärt er. „In so einem reglementierten Bereich mit einer so offenen Organisation zu arbeiten, das ist schon besonders.“ Und Boris Jermer ergänzt das, was in seinem Unternehmen immer auf der Agenda steht: „Gegenpole und unterschiedliche Werte sind nicht unvereinbar, sie können – ganz im Gegenteil – enormes Potenzial freisetzen, wenn man die richtige Balance findet.“ Denn auch in stark reglementierten Bereichen kann sich die Welt verändern, und es braucht resiliente Menschen und Organisationen.
Kultur fängt „ganz oben“ an
Ein wesentlicher Erfolgsfaktor, dass all dies gelingen konnte, war die Bereitschaft von Mike Bublitz, auch sein eigenes Verhalten zu ändern. Dort, wo er viele Jahre Entscheidungen getroffen hatte, gibt er nun „nur“ noch seine Meinung ab. „Entscheiden sollen jetzt die anderen“, sagt er und gibt zu, dass er an sich arbeiten musste: „Die Änderungen sind teils radikal, das muss man ertragen können, wenn man so viele Jahre Geschäftsführer ist.“
„Es gehört Größe dazu, dies auszuhalten“, konstatiert Boris Jermer, „aber wir erfahren in unseren Projekten immer wieder, dass bis zum Schluss reindirigiert wird – und dass das in den seltensten Fällen der Sache nutzt.“ Es benötige Distanz der einen Generation, damit die neue erwachsen werden könne. Bei BioGenius ist das gelungen.
Und nun, Herr Bublitz?
Welches sind die Herausforderungen für die neue Besatzung?
„Wir wollen wachsen, wir werden wachsen, und wir werden reinvestieren statt Gewinne abzuschöpfen. Das ist auch bereits offen kommuniziert. Es gilt, das Wachstum zu bewerkstelligen und dafür das richtige Personal zu finden.“
Woher die Zuversicht?
„Alles, was mit Auftrag zu tun hat, geht gerade völlig durch die Decke. Die Auftragslage ist exorbitant. Und: Es wird nicht weniger Insekten geben. Wenn es keine wirksamen Produkte gibt, sie zu bekämpfen, sind die gesundheitlichen Risiken enorm. Wir stehen ja gerade erst am Anfang des Klimawandels – und Mücken können schwimmen.“
Autorin: Karin Grunewald
Fotos: BioGenius GmbH und SPRACHKULTUR