Progacon: Miteinander über Gastronomie reden

Standortaufwertung, Frequenzerhöhung, Steigerung von Renditen – all das ist in vielen Städten bereits untersucht worden, allerdings überwiegend in Bezug auf den Handel. Die meisten Konzepte haben dabei die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Progacon aus Burscheid tut genau das: Sie entwickelt Konzepte für Standorte und stellt explizit die Gastronomie in den Fokus.

Ortstermin Herne zur Erhebung und Diskussion zur aktuellen Situation und der zu entwickelnden Vision in Herne-Mitte.

Lange Liste der Projekte

Die Liste der Projekte ist lang: Innenstadtplanung, Standortrevitalisierung, Quartiersleitbild, Campusentwicklung. Berlin, Köln und Ruhrgebiet, aber auch Coesfeld, Wuppertal-Barmen und aktuell die 14.000-Seelen-Gemeinde Marienheide im Oberbergischen. Die grundsätzliche Frage ist: Was muss ich in der Entwicklung berücksichtigen, damit Vermieter und Betreiber motiviert werden, die passende Gastronomie anzubieten? „Dafür ist es wichtig, gute Rahmenbedingungen zu schaffen“, sagt Michael Harenberg. „Das ist das, was uns tagtäglich antreibt.“

Harenberg hat vor 18 Jahren bei Progacon eine Ausbildung zum Veranstaltungskaufmann gemacht – und seither nie den Arbeitgeber gewechselt. „Und ich habe auch die große Hoffnung, dass ich das nie tue“, sagt er. Progacon ist im Gastro- und Eventbereich gewachsen und mit ihr Michael Harenberg. Inzwischen teilen er und Gründer Holger Madel sich die Leitung der Agentur. Zur Seite steht ihnen ein Team von rund zehn Mitarbeitern und einem umfassenden Netzwerk an Gastronomen, Brauereien, Freelancern, Architekten, Küchenplanern und mehr. Auftraggeber sind zum Beispiel Stadtmarketing, Wirtschaftsförderung, Projektentwickler und Immobilienbesitzer.

Progacon – Eine Marke der Fun Concept GmbH
Montanusstraße 4
51399 Burscheid
Tel. +49 2714 74740
info@progacon.de
www.progacon.de

Holger Madel (l.) und Michael Harenberg. Die Progacon ist eine Marke der Fun Concept GmbH, die beratend und operativ Eventkonzepte umsetzt und so langjährige, gute Kontakte in die Gastronomie hat.

Mit der Welt ändert sich auch die Gastronomie

„Das Thema Gastronomie ist in den letzten Jahren immer größer geworden“, sagt Harenberg. Zum einen, weil der vielerorts rückläufige Handel auch der Gastronomie wieder Chancen gibt, in Innenstädte zu ziehen. Zusätzlich hat sich durch die Corona-Zeit das Arbeitsverhalten verändert und mit ihm die Bedürfnisse für Büroflächen. Angetrieben durch Leerstände – aber auch durch Mega-Trends wie Urbanisierung, Ökologie oder gesunde Ernährung – entstehen neue Konzepte.

„B-Lagen werden immer häufiger erfolgreich genutzt, wenn sie den Menschen einen Erlebnisort bieten“, sagt Harenberg. „Da gibt es genügend Potenzialflächen.“ So siedelt sich Gastronomie zum Beispiel im Erdgeschoss von Bürogebäuden an. Doch der Wandel braucht Zeit und Mut. Häufig werde noch gezögert nach dem Motto: „Am liebsten erst mal beim Nachbarn und abends leise.“

Handel und Gastronomie sind nicht separat zu denken

Apropos Büros. Auch diese verwaisen zunehmend, nachdem sich das Arbeiten im Homeoffice etabliert hat. Dennoch wünschen sich viele auch wieder ein „Back to office“, zurück in die Gemeinschaft der Kollegen, und auch an einen Ort, an dem sie an den Arbeitstagen nicht selbst kochen müssen. „Doch Kantinen brauchen viel Fläche. Wer will das noch betreiben?“, erklärt Michael Harenberg. Daraus folgt aber auch, dass reine Büroviertel ohne integrierte Gastronomie für Mitarbeitende nicht mehr attraktiv sind. Unternehmen zögern daher sich einzumieten, solange die gastronomischen Möglichkeiten nicht geklärt sind.

Für den Handel ist fehlende oder unpassende Gastronomie ebenfalls unattraktiv, weil die potenzielle Kundschaft nachweislich häufiger kommt oder länger bleibt, wenn zwischen den Einkäufen ein Stopp zum Essen gemacht werden kann. Die Verbindungen zwischen beiden sind vielfältig, und es geht nicht nur um Quantität. „Eine Banalisierung des Handels führt zum Beispiel auch zu einer Banalisierung der Gastronomie“, erläutert Harenberg. Doch während der Handel von Städten und Kommunen gesteuert wird, wird es die Gastronomie bislang selten. „Oftmals wird gar nicht erhoben oder berücksichtigt, was es schon gibt“, sagt er. „Auch die Bedürfnisse der Eigentümer spielen eine große Rolle.“

Lebendige City

Die meisten Konzepte haben dabei die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Progacon stellt explizit die Gastronomie in den Fokus.

Standortbestimmung mit den Augen der Gastronomie-Gäste

Was für die Auftraggeber die Steigerung von Renditen am Standort ist, ist für die anderen die Steigerung der Lebensqualität an ihrem Arbeits- oder Wohnort, beziehungsweise in ihrem „Veedel“. Daher beginnen alle Betrachtungen bei Progacon mit Fragen wie: Warum ist Gastronomie an diesem Standort gewünscht? Wo ist sie? Wer geht hin und warum? „Und danach geht es um die Rahmenbedingungen; um Zielgruppe, Atmosphäre, Miete, Maß und Mischung – und darum, die Beteiligten zu sensibilisieren und positiv zu beeinflussen“, verdeutlicht es Harenberg.
Jedes Projekt ist so individuell wie der Ort und die Menschen, die ihn besuchen. Manchmal ist es die Spielwiese für die Entwicklung eines völlig neuen Quartiers. Manchmal reicht bereits ein Wohlfühlcharakter. Zum Beispiel ein Baum über der Außengastronomie, der nicht erst letztes Jahr gepflanzt wurde. Oder ein Marketingkonzept, wie etwa in Coesfeld. Hier ist Gastronomie, die über Imbiss hinausgeht, durchaus vorhanden, aber in der zweiten Reihe, wo sie für die Besucher der Innenstadt nicht sichtbar und bewusst war.

Alleinstellungsmerkmale finden und realistisch bewerten

Wenn das Ziel ist, neue Gastronomie anzusiedeln, geht es zunächst darum, Alleinstellungsmerkmale zu finden. Was hat die Stadt, hat der Ort zu bieten? In Wuppertal-Barmen waren es zum Beispiel unter anderem die Schwebebahn und das neue Museum. Dort wird wieder mehr Gastronomie nachgefragt, einfach weil mehr Menschen kommen. Anders in Marienheide. „Natur und Freizeitwert sind ausgezeichnet, aber nur weil dort der höchste Punkt des Bergischen Landes ist, werden die Leute nicht busseweise kommen“, konstatiert Harenberg. Es gilt den Mehrwert und die Alleinstellungsmerkmale zu transportieren, die Gastronomen zu unterstützen, aber auch Überangebot zu vermeiden.

Auch für die Betreiber muss das Geschäft wirtschaftlich darstellbar sein. Das ist es weder in der teuren ersten Reihe noch als elfte Gastronomie an der Talsperre. Gleiches gilt für die Immobilienbesitzer. „Für ein Café an der Talsperre ist das Risiko vielleicht nicht so hoch, da es durch eine dezentralere Lage eventuell mit überschaubaren Investitionen verbunden ist“, erklärt er, „aber der Vermieter hat bei ständigem Wechsel irgendwann keine Lust mehr.“

Präsentation in Marienheide:  Eine gastronomische Analyse bildet die Diskussionsgrundlage, um Verwaltung, Politik, Eigentümer, Gastronomen und andere Beteiligte inhaltlich mitzunehmen.

Die Stadt Essen war die erste Stadt, die sich eine geclusterte Betrachtung der gastronomischen Angebote für ihre Innenstadt vornahm.

Auch Altbewährtes kann eine Aufwertung erfahren

Was also tun in kleineren Gemeinden? Eine Runde, in der alle Beteiligten vertreten sind, beschäftigt sich zunächst mit dem, was bereits da ist, neue Zielgruppen zu generieren und alte wie neue Gäste mit Neuem zu begeistern. Danach geht es ans Eingemachte und auch darum, Betriebsblindheit bewusst zu machen; um neue Impulse wie etwa neue Möbel, eine Außengastronomie oder eine angepasste Speisekarte. Darüber hinaus kann Progacon das eigene Netzwerk mit Input füttern. Für große Brauereien gilt dabei: „Wenn sich die Städte damit auseinandersetzen und gute Standorte finden, haltet uns auf dem Laufenden.“

Arbeit in der Praxis schlägt jedes Konzept

Konzepte auf dem Papier sind eine Sache. Bewertungen können viele; den Unterschied macht es, ob man Konzepte auch umsetzen kann. „Daran wird unsere Arbeit in Zukunft gemessen werden“, sagt Michael Harenberg. Eine Analyse hat vielleicht 140 Seiten. Diese sei wichtig, um miteinander sprechen zu können. „Aber das Papier kommt in die Schublade. Wir müssen das auf drei Seiten zusammenfassen und dann die Ärmel hochkrempeln.“

Erst in der Praxis zeigt sich nämlich, wie die Lage wirklich ist und vor allem, was ein noch so gutes Konzept umschmeißen kann: zum Beispiel Bürokratie, mangelndes Wissen oder veraltete Informationen, festgefahrene Denkmuster, allgemeine Skepsis oder fehlende Finanzierungsmöglichkeiten. Ein paar Beispiele:

Beispiel Hamburg: Attraktive Gebäude, Kunst, Gestaltung und Farbe bieten neben Aufenthaltsqualitäten und Urbanität eine tolle Umgebung für Gastronomie.

Finanzierung in Zeiten angespannter Haushaltslagen

Häufig reichen die Mittel aus Fördergeldern nur für das Konzept. Danach fehlt Städten und Kommunen das Geld für die Umsetzung. „Die Umsetzung muss aber gar nicht immer die Kommune bezahlen“, spricht Harenberg aus Erfahrung. Zum Beispiel könnten Eigentümer statt eines Maklers auch Progacon mit der Mietersuche beauftragen. Damit wäre zum einen das Konzept berücksichtigt. Zum anderen kann Progacon Visionen vermitteln oder Kopplungspotenziale verdeutlichen. Wer etwa erfährt, dass am Ort demnächst Künstler und Kreative ihre Heimat finden werden, kann ein ganz anderes Interesse entwickeln. “Wir brennen für das Thema, weil wir sehen: es funktioniert. Flächen werden vermietet, und es kostet die Stadt kein Geld mehr“, sagt er.

Bürokratie als größter Hemmschuh

Kommunen haben in der Regel relativ wenig Auslegungsspielraum. Das Netz an Vorschriften ist engmaschig, zum Beispiel wenn es um Brandschutz oder Rettungswege geht. Manchmal sind Vorschriften in solcher Menge vorhanden, dass die Feststellung der Genehmigungsfähigkeit nicht mehr up to date ist. Zum Beispiel beim Thema Abluft oder Fettabscheider, die immer noch hier zu Genehmigung und dort zu Ablehnung führen. Wo eine überdachte Abluft aus dem Erdgeschoss nicht möglich ist, gibt es etwa Plasmaanlagen. Damit könnte die Pizzeria genehmigt werden. Das weiß nur nicht jeder. „Vieles hängt auch an einzelnen Menschen“, sagt Harenberg, „und an Informationsstand, Auslastung und Einstellung.“ Daher sei das Wichtigste, miteinander zu reden.
Auch bei einer Nutzungsänderung würde Reden helfen. Um sie zu beantragen, muss ein Bauantrag gestellt werden. Das bedeutet detaillierte Planung, Beauftragung eines Architekten, Stellplätze, Brandschutz etc. „Nach sechs Monaten haben Sie dann 10.000 Euro investiert, aber keine Gastronomie, weil da zwei Stufen vorm Eingang sind“, sagt Michael Harenberg etwas überspitzt; aber nur etwas. „Eine Vorabeinschätzung würde in vielen Fällen helfen und das Risiko senken.“

Neues wagen ist nicht jedermanns Sache

Bei der Einführung von Innovationen oder neuen Konzepten trifft das Progacon-Team auch auf festgefahrene Glaubenssätze. Etwa der hier: „Digitalisierung? Habe ich 20 Jahre nicht gebraucht, brauche ich auch jetzt nicht.“ Oder: „Dafür sind wir zu klein, das ist zu teuer.“ In diesen Fällen gilt es, Bewusstsein zu vermitteln. Zum Beispiel für die Digitalisierung der Warenwirtschaft „Für den Einkauf gibt es gute Apps“, sagt Harenberg. „Zeit ist ja auch Geld.“
Das Verharren im Status Quo verhindert auch, dass neue Ideen gedacht und umgesetzt werden. Ein erfolgversprechendes Konzept wäre beispielsweise eine Mittagsverpflegung, die frisch, bezahlbar und ohne Wartezeit abholbar ist. „Diese Nische ist in Deutschland unterbesetzt“, sagt Michael Harenberg. „Dazu könnten sich die Gastronomen auch abstimmen: Jeder übernimmt einen Tag.“ Kooperation statt Konkurrenz ist aber eher neu.

Römisch-Germanisches Museum Köln

Bei der Revitalisierung der neuen Mitte in Köln spielte auch die Gastronomie eine große Rolle.

Und woran scheitert es am häufigsten?

Auch der Einsatz von Apps wäre eine Lösung für den Mittagstisch zum Abholen. Aber auch für eine andere Idee: Bereiche ohne Konsumzwang. Die drei Bänke auf dem öffentlichen Platz neben dem Café könnten mit dem Gastronomiebereich gekoppelt werden. „Man bringt sich sein Butterbrot mit und bestellt dann vielleicht per App einen Cappuccino“, stellt sich Harenberg vor.

In der Praxis kann das daran scheitern, dass sich die Stadtentwicklung Aufenthaltsqualitäten für öffentliche Flächen wünscht, welche der Gastronom mit Leben füllen könnte, die Verwaltung gemäß ihrer Vorschriften jedoch eine Sondernutzungsgebühr erheben muss. Das mag etwas weltfremd erscheinen, muss aber auch nicht in Stein gemeißelt sein. Dahingehend das Schlusswort von Michael Harenberg: „Die meisten Dinge scheitern daran, dass die Menschen nicht miteinander reden.“

 

Autorin: Karin Grunewald
Fotos: Progacon

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