„Warum habe ich eigentlich jemals damit aufgehört, Handwerkerin zu sein?“
„Warum habe ich eigentlich jemals damit aufgehört, Handwerkerin zu sein?“, diese Frage geht Lina Reitz vor vier Jahren durch den Kopf – ein Wendepunkt in ihrem Leben. Es ist mitten in der Corona-Pandemie, sie ist von ihrem Marketing-Job bei einem Projektausstatter auf Kurzarbeit gesetzt worden und hilft ihren Eltern Dagmar und Wilhelm Reitz, seit über 30 Jahren Inhaber des Raumausstatters Reitz Lebensräume in Bergisch Gladbach-Refrath, den Laden zu renovieren. „Meine Eltern wollten während Corona das Beste aus der Zwangspause machen und haben dann den Laden komplett saniert und renoviert und da ich ja nichts zu tun hatte, habe ich geholfen. Und es war wirklich für mich, als wäre ich aufgewacht, weil ich das erste Mal wieder gemerkt habe, es ist eigentlich das Schönste, was es gibt: morgens zur Arbeit zu kommen und abends ein Ergebnis zu sehen“, sagt Lina Reitz mit einem Lächeln im Gesicht. Sie trifft vor vier Jahren die Entscheidung, ins Familienbusiness einzusteigen, seit August ist Lina Reitz jetzt Geschäftsführerin von Reitz Lebensräume und leitet den Familienbetrieb mit viel Leidenschaft und Engagement. Willi Reitz ist stiller Gesellschafter – beide Eltern arbeiten aber weiter im Betrieb mit, Vater Willi als Maler- und Lackierermeister, Mama Dagmar als kreativer Part.
Reitz Lebensräume
Wilhelm Reitz GmbH
Siebenmorgen 20
51427 Bergisch Gladbach
Tel. +49 2204 22597
info@reitz-lebensraeume.de
www.reitz-lebensraeume.de
Der Weg in den Familienbetrieb
Dass Lina Reitz den Familienbetrieb einmal übernehmen wird, war für die 33-Jährige keineswegs so klar, wie es für viele Außenstehende scheint: „Viele denken immer, das ist ja vorbestimmt gewesen – war es so aber gar nicht“, sagt Reitz. Es habe auch seitens der Eltern nie Druck gegeben, in deren Fußstapfen treten zu müssen. Trotzdem macht Lina Reitz eine Ausbildung als Raumausstatterin in einem Kölner Traditionsbetrieb und lernt den Beruf von der Pike auf, „weil ich natürlich mit unserem Laden groß geworden bin und das, was wir hier tun – also Polstern, Fensterdekoration, Teppich-Beratung, Inneneinrichtung oder auch Farbschema-Konzept – schon als Jugendliche sehr spannend fand.“ Handwerk liegt ihr und auch das Thema ‚Schön Wohnen‘: “Ich kann mich selber auch nur wohlfühlen, wenn die Einrichtung stimmt und nicht lieblos ist.“ Nach der Ausbildung macht Lina Reitz an der Fachschule des Möbelhandels in Köln ihren Betriebswirt Fachrichtung Möbelhandel, um beruflich breiter aufgestellt zu sein. Sie arbeitet einige Jahre bei einer bekannten Möbelfirma in der Schweiz. „Aber als kölsches Mädchen hat mein Herz geblutet. Ich wollte zurück ins Rheinland und habe dann einen Job bei einem Projektausstatter begonnen, der hauptsächlich Büros einrichtet“, sagt Reitz. Sie macht überwiegend Architektenakquise, baut ein Netzwerk auf, kümmert sich ums Marketing – und dann kommt Corona und Lina Reitz‘ Job fällt quasi der Pandemie zum Opfer: Von heute auf morgen wird sie auf 100 Prozent Kurzarbeit gesetzt. Im Nachhinein ein Glücksfall, denn es ist der Einstieg ins Familienunternehmen.
Mit der Familie arbeiten – funktioniert das?
„Als die Idee aufkam, ob ich in den Laden einsteige, haben wir erst einmal überlegt, dass wir ein Probe-Jahr machen“, lacht Lina Reitz, „man hört ja allerlei Geschichten von Eltern, die nicht loslassen können und Kindern, die alles verändern wollen. Wir haben dann gesagt, wir schauen uns das an, ob wir gut zusammenarbeiten als Familie und ob es auch mit unserem Team funktioniert. Und nach drei Monaten haben wir uns einmal richtig gezofft und nach sechs Monaten war klar, das funktioniert und bleibt so!“ Inzwischen hat Lina Reitz auch ihren Meister im Raumausstatter-Handwerk gemacht: „Wenn ich schon Handwerk mache, dann mache ich es auch richtig und möchte auch ausbilden können.“ Sie macht es so richtig, dass Reitz mit ihren 33 Jahren mittlerweile die jüngste Obermeisterin der Innung für Raumausstatter Bergisches Land ist.
„Das hätte ich alles nebenberuflich gar nicht machen können, wenn wir uns hier im Team nicht so unterstützen würden“, sagt Lina Reitz. Neben ihren Eltern ist auch das Team, „ihre Mädels“, für Lina Reitz wie Familie. Der Umgang mit den Mitarbeiterinnen ist bei Reitz Lebensräume familiär, einige Kolleginnen sind seit 20 Jahren im Team, man kennt und vertraut sich: „Wir leben das Thema Familie im Betrieb. Wir essen mittags im Team zusammen, regelmäßig steht ein Kuchen in der Küche. Wir zelebrieren das schon, dass es sehr familiär ist, weil ich das sehr wichtig finde und selber auch so groß geworden bin. Am Mittagstisch können wir auch außerhalb unserer Arbeitsthemen Dinge besprechen, das ist auch Teil unserer Fürsorgepflicht“, sagt Reitz. Reitz Lebensräume ist Teil der Fachkräfte-Initiative ‚Kluge Köpfe arbeiten hier‘ im Rheinisch-Bergischen Kreis, im Unternehmensprofil des Betriebs steht ‚Mit uns arbeiten bedeutet, Familienanschluss‘. „Das ist auch so!“ bekräftigt Lina Reitz. „Letztendlich ist das auch der Grund, warum ich mich dafür entschieden habe, in unserem Betrieb anzufangen. Es ist schön, mitzuerleben, dass wir im Team füreinander einstehen – ich glaube, das bekommt man sonst kaum wo anders. Diese Basis haben meine Eltern geschaffen.“
Kluge Köpfe bei Reitz Lebensräume
Der Vorteil in unserem Team ist, dass niemand bei uns nur eine feste Position hat. Wir sind gemeinschaftlich als Team für alles zuständig. Das bedeutet demnach, dass der Arbeitsplatz sehr spannend bleibt, weil man immer wieder unterschiedliche Sachen tun muss. Und auf der anderen Seite ist es wirklich eine Teamarbeit. Hier geht es nicht um Einzelgängertum, sondern was Reitz als Gruppe schaffen kann.
Jüngste Innungsobermeisterin – Engagement ist wichtig
Für Lina Reitz war und ist es eine Selbstverständlichkeit, Verantwortung zu übernehmen und sich ehrenamtlich zu engagieren – auch etwas, das ihre Eltern Willi und Dagmar Reitz vorgelebt haben: Der Vater ist Kreishandwerksmeister der Kreishandwerkerschaft Bergisches Land und im Vorstand der Handwerkskammer zu Köln aktiv, Mutter Dagmar im Vorstand der IG Refrath und engagiert sich im Unternehmerverband Bergisches Land. „Auch da haben meine Eltern viel richtig gemacht und waren ein Vorbild. Für mich gab es da gar keine Diskussion, dass ich mich in der Kreishandwerkerschaft engagiere. Ich habe zwar gar nicht die Ambition, ein Vorbild zu sein, aber ich weiß, dass ich zum Teil eins bin. Ich denke, deshalb ist es so wichtig, dass ich das mache“, sagt Lina Reitz.
Für sie geht es vor allem auch um Sichtbarkeit, für den Beruf und für das Handwerk: „Wenn ich nicht zeige, dass Ehrenamt auch dazu gehört, dann wird das Ehrenamt irgendwann aussterben. Die Beteiligung am Ehrenamt im Handwerk ist jetzt schon rückläufig und es könnte viel mehr passieren, wenn sich mehr Leute engagieren würden.“ Lina Reitz ist gerne ein Gesicht für ihr Handwerk, gerade weil das Raumausstatter-Handwerk ein aussterbendes Gewerk ist. Viele Leute wüssten gar nicht, was ein Raumausstatter macht: „Dass es Gardinen nicht nur im Fertigmaß gibt und man damit leben muss, dass sie zwei oder 15 Zentimeter zu kurz über dem Boden hängen. Viele wissen gar nicht, dass es Menschen wie mich gibt, die ihnen passgenau alles für das Fenster herstellen oder auch aus Opas Lieblingssessel einen neuen Lieblingsstuhl für die Enkelin machen können. Deshalb ist es so wichtig zu zeigen, dass wir da sind!“
Ein Team im Streifenlook
Die markanten Linien ziehen sich bei Reiz konsequent durch – nicht nur bei der Kleidung. So hat das Unternehmen einen großen Wiedererkennungswert, bis hin zu den Firmenfahrzeugen.
Keine Nachfolge: Raumausstatter sterben aus
Die Realität ist leider auch, dass in den nächsten Jahren viele Raumausstatter im Bergischen ihre Läden schließen müssen, weil die Nachfolge fehlt. Der Grund: Es wurde zu wenig ausgebildet, sagt Lina Reitz. Das liege unter anderem auch daran, dass der Raumausstatter eine Zeit lang kein meisterpflichtiger Beruf war und sich jeder ohne Meisterbrief selbstständig machen konnte. In dieser Zeit sei kaum ausgebildet worden, sagt Reitz: „Denn die Logik sagte halt, wenn ich jetzt jemanden ausbilde, kann der sich direkt neben mir als Geselle selbstständig machen. Ich bilde also meine eigene Konkurrenz aus. In dieser Zeit ist ein Riesenloch entstanden – diese Menschen fehlen, um jetzt einen Betrieb übernehmen zu können.“ Inzwischen ist die Meisterpflicht in das Raumausstatter-Handwerk zurückgekehrt und die Branche kann sich über Nachwuchs nicht beklagen. Reitz Lebensräume hat in den letzten fast 35 Jahren über 30 junge Menschen ausgebildet, sowohl im Maler-Handwerk als auch im Raumausstatter-Handwerk. Alle zwei Jahre kommt ein neuer Azubi in den Betrieb. „Ausbildung liegt uns sehr am Herzen und wir haben noch nie Probleme gehabt, diese Stelle zu besetzen. Wir haben aber auch eine sehr gut funktionierende Online-Präsenz. So sind wir für Jugendliche sichtbar und sie finden uns“, sagt Lina Reitz. Außerdem sind immer Praktikantinnen im Haus, häufig spätere Azubis.
Präsenz zeigen – ohne Social Media geht es nicht
Reitz Lebensräume ist bei Social Media mit einem Instagram-Kanal präsent und postet bei Pinterest, Facebook ist sowieso Standard. Man müsse den jungen Menschen da begegnen, wo sie sind, sagt Lina Reitz: „Ich sehe das schon, dass es grundsätzlich schwer ist, im Handwerk Nachwuchs zu finden. Aber das hat etwas mit der eigenen Präsenz zu tun und der Frage: Was tue ich, um die jungen Menschen zu erreichen beziehungsweise, wo sind sie präsent?“ Auch Lina Reitz musste sich in die Thematik erst einmal ‚reindenken‘. Mittlerweile produziert sie Reels mit Untertiteln und voice over, zeigt darin das klassische Handwerk vom Polstern eines Küchensofas bis hin zum Erneuern einer Wandbespannung. Oft ist auch das ganze Team in Aktion. Reitz lacht: „Das hätte ich mir vor einem Jahr auch noch nicht zugetraut. Jetzt machen wir es, weil ich merke, dass man es machen muss, um eine Sichtbarkeit zu generieren.“ Aber nicht nur auf Social Media passiert bei Reitz Lebensräume viel, auch der Laden selbst ist ständig im Wandel und passt sich der Zeit an. Spätestens alle drei Monate sieht das Ladenlokal komplett anders aus, es wird umgeräumt, neu dekoriert, ein neues Schaufenster gestaltet – auch das sei wichtig, sagt Reitz.
Reitz ist immer in Bewegung
Wieviel Veränderung hat Lina Reitz nach ihrer Geschäftsübernahme für Reitz Lebensräume auf ihrer To Do-Liste? Die Antwort überrascht: „Gar keine!“ Sie erzählt eine Anekdote aus einem Kurs für Unternehmensnachfolge, den sie besucht hat: „Am Anfang hat der Kursleiter gefragt, man habe jetzt einen Betrieb, den man übernehmen wolle. Was wollen wir ändern? Und alle saßen da mit vier Seiten voll von dem, was sie alles verändern möchten. Und ich dachte nur: Eigentlich gefällt es mir so, wie es ist! Ich wäre froh, wenn es einfach eine Zeit lang so bleibt!“ Denn der stetige Wandel gehört für Reitz Lebensräume seit jeher zur Arbeit dazu. Nichts sei in Stein gemeißelt, es gebe kein ‚Das haben wir schon immer so gemacht‘. „Das liebe ich sehr an meinen Eltern und an unserem Unternehmen, sonst hätte ich es nicht übernommen: Meine Eltern machen schon immer sehr viel und verändern ständig etwas. Sie hören nicht auf. Und das ist der Grund, warum es bei uns so ist, wie es ist. Und deswegen gab und gibt es für mich auch nichts, was ich jetzt unbedingt ändern müsste, weil es hier bei uns sowieso nichts Festes gibt. Alles kann immer verändert werden“, bekräftigt Lina Reitz. Ihr größter Wunsch: „Dass jemand in 30 Jahren hier steht, das Geschäft übernehmen möchte und über mich als Geschäftsführerin von Reitz Lebensräume das Gleiche sagt. Das wäre der Traum. Meine Eltern haben da einfach alles richtig gemacht. Es ist schön, wenn man das so sagen kann, finde ich.“
Die Zukunft ist nachhaltig
In den Prozess des stetigen Wandels gehört bei Reitz Lebensräume auch das Thema Nachhaltigkeit. Die Rheinisch-Bergische Wirtschaftsförderungsgesellschaft mbH (RBW) hat Mitarbeitende aus bergischen Unternehmen im nachhaltigen Wirtschaften geschult – Lina Reitz hat teilgenommen und das Zertifikat ‚Betrieblicher Nachhaltigkeitslotse‘ erworben: „Mein Vater sagt immer so schön, dass wir eigentlich eh den nachhaltigsten Beruf machen, den es gibt, weil wir Möbel erhalten.“ Es gehöre aber zu ihrer sozialen Verantwortung, sich stets weiterzubilden und mehr zu tun. Rund um den Nachhaltigkeitslotsen sei ein Netzwerk entstanden, in dem man jetzt im stetigen Austausch sei, sagt Lina Reitz. „Das ist auch ein Verdienst der RBW, dass sie Veranstaltungen organisieren, die auch einen Mehrwehrt haben und so Menschen zusammenbringen.“ Nachhaltig ist für Lina Reitz auch, dass sie ihr Wissen weitergibt. Ihr Ziel für die Zukunft: „Ich möchte ausbilden und die Menschen für unseren Beruf begeistern. Und ich würde mich freuen, wenn mehr Menschen uns kennenlernen würden. Denn es ist ein großer Unterschied, ob man ein fertiges Produkt kauft, das in Taiwan unter Bedingungen produziert wurde, die wir nicht nachvollziehen können. Oder ob man einen Vorhang kauft, der hier in Refrath genäht wurde. Da wissen wir, wo der Stoff gefärbt wurde und wo das Material herkommt.“
Sichtbar sein, präsent sein – das hat sich Lina Reitz für Reitz Lebensräume und für das Handwerk des Raumausstatters auf die Fahne geschrieben: „Denn es ist für mich einer der schönsten Berufe der Welt!“
Autorin: Nicole Schmitz
Fotos: Robert Reitz