Devin Agca hat gerade sehr wenig Zeit – noch weniger Zeit als ohnehin schon: Der Gründer des Start-ups Modifox trainiert für einen Marathon und das ist kein Hobby, sondern Arbeit. Denn Devin Agca läuft diesen Marathon in seinen eigenen Schuhen. Und es sind besondere Schuhe. Modifox hat den ersten Schuh entwickelt, den man nicht wechseln muss: Er ist Hausschuh und Straßenschuh in einem, den man drinnen und draußen nutzen kann, ohne dass es in Wohnung oder Haus schmutzig wird. Denn der Schuh kann sich verwandeln – dank einer eigens entwickelten Klick-Technik lässt sich die Sohle des Schuhs freihändig in Innenräumen lösen und der Straßenschuh wird in Sekunden zum Hausschuh. Als Joggingschuh für Marathon-Läufe ist der Schuh eigentlich nicht konzipiert, aber der Zweck heiligt die Mittel, sagt Devin Agca: „Es ist die Frage, die uns am häufigsten gestellt wird, ob die Sohle denn auch hält oder ob sie abfallen könnte, wenn man sich schnell bewegt. Wir konnten die Frage irgendwann nicht mehr hören, da wir ja wissen, dass das nicht passieren kann. Wir haben das ja monatelang getestet.“ Also musste der ultimative Praxisbeweis her, der auch die letzten Zweifler überzeugen soll, dass die Sohlen der Modifox-Schuhe halten, was sie versprechen: „Ich dachte mir, dann kannst Du auch einen Marathon laufen in den Schuhen. Das wird mit Kameras begleitet und so wollen wir beweisen, dass auch im extremen Härtetest über 42 km unter Bedingungen, für die der Schuh gar nicht ausgelegt ist, nichts passiert“, sagt Agca. Ende März ist es soweit: Dann läuft Devin Agca den Malta-Marathon. Die daraus resultierende Highend-Kampagne soll dann den Auslieferungsstart der Modifox-Schuhe Mitte April begleiten.
Die erste Idee: So wird ein Schuh draus
Die Idee von einem Hausschuh, der zum Sneaker wird und wieder zum Hausschuh, hat Devin Agca schon früh im Kopf. Immer die Schuhe wechseln, um mal schnell mit dem Hund vor die Tür zu gehen oder den Müll raus zu bringen? Auf Dauer lästig, sagt Agca: „Wir hatten früher zu Hause an der Haustür alte Schlappen in Größe 38, die dann jeder genutzt hat. Da habe ich mir überlegt: Ich könnte doch eigentlich mit meinen Hausschuhen rausgehen, ich bräuchte nur eine Möglichkeit, dass sie nicht dreckig werden.“ Aus dem Gedankenspiel entwickelt sich während seines BWL-Studiums in Köln eine konkrete Idee: Eine zusätzliche Sohle bräuchte der Hausschuh, die man an der Tür abstreift und das Ganze am besten freihändig. In seinem Masterstudiengang an der Cologne Business School pitcht Agca seinen Kommilitonen die Idee seines modularen Hausschuhs. „Wir haben es im Plenum in einigen Vorlesungen als Geschäftsidee durchgespielt und alle fanden es gut – so hatte ich dann das erste Selbstvertrauen, dass das echt gut sein könnte“, erinnert sich der 27-Jährige an die Anfänge. In einer weiteren Vorlesung erstellt Devin Agca ein Crowdfunding-Video: „Damit bin ich dann hausieren gegangen.“ Nach seinem Abschluss ist der Schritt zur Selbstständigkeit nicht weit: „Nach dem Abschluss habe ich gesagt, arbeiten werde ich noch früh und lang genug. Dann kann ich auch erst einmal etwas ausprobieren, was mir Spaß macht. Und wenn ich auf die Nase falle – so what? Ich habe ein abgeschlossenes Studium, ich werde recht weich fallen.“ Sein eigenes Ding machen – eine Einstellung, die Devin Agca quasi in die Wiege gelegt wurde: Sein Vater führt einen Sanitär- und Heizungsbetrieb in zweiter Generation, auch Mutter und Geschwister arbeiten selbstständig: „Die Selbstständigkeit ist so ein Gen in der Familie, das wir alle in uns haben“, lacht Agca. „Mir macht es Spaß, an einer eigenen Sache zu arbeiten und etwas aufzubauen, deshalb bin ich gestartet.“ An einer Vision zu arbeiten, die uns als Gesellschaft mit voranbringen kann, das treibe ihn an.
Der erste Prototyp: Modisch und funktional
Über eine Freelancer-Plattform sucht sich Devin Agca einen industriellen Designer, der mit ihm gemeinsam einen ersten Prototyp entwickelt. Karim aus Tunesien ist mit ähnlicher Leidenschaft und Kreativität wie Agca bei der Sache und wechselt nach kurzer Zeit ins Gründungsteam von Modifox. Schnell entstehen erste Designs und erste Sohlen, die Karim auf dem 3D-Drucker produziert. Die größte Herausforderung besteht dabei darin, ein modisches Produkt zu entwickeln, sagt Agca: „Wir wissen genau, wenn ein Produkt nicht entsprechend aussieht und ein Schuh nicht wie ein Schuh aussieht, sondern nach einem Schuh, in den man einen Haufen Technik eingebaut hat, dann wird’s keinen interessieren und keiner kaufen. Die Funktion überzeugt nur, wenn die Leute das Design bereits spannend finden.“ Außerdem soll der modulare Schuh das Leben der Nutzer einfacher und bequemer machen, so das Ziel. „Es muss besser sein, als einfach die Schuhe zu wechseln. Wenn es nur genauso gut ist oder marginal besser, dann ist es nicht gut genug“, so Agca. Die perfekte technische Lösung ist am Ende einfacher als gedacht. Agca beschreibt sie als eine Mischung aus Ingenieurstechnik und industriellem Design. Vereinfacht erklärt, basiert der Schuh auf einer Klick-Technik: In der Sohle ist eine Rille, die perfekt zu dem Untergrund des Hausschuhs passt und sich mit ihr verbindet. „Das Schwierige ist, das Ganze formschließend zu verbinden, sodass man nichts mehr von außen sieht. Dass es perfekt ineinandergreift, auch wenn es in Bewegung ist“, sagt Devin Agca, „und dass es einfach anzubringen und auch wieder zu lösen ist – ohne Hände.“
Mit Unterstützung zur Gründung von Modifox
Das Produkt war schließlich da – ein Unternehmen aber noch nicht: „Ich habe es lange vor mir her geschoben, tatsächlich zu gründen. Ich wollte mir den ganzen Buchhaltungskram so lange wie möglich vom Hals halten“, lacht Agca. Erst im April letzten Jahres gründet Agca mit drei Co-Gründern Modifox. Finanzielle Hilfe bekommt das Start-up dabei durch ein NRW-Gründungsstipendium. Bei der Bewerbung hat die Rheinisch-Bergische Wirtschaftsförderungsgesellschaft mbH (RBW) das Team unterstützt und motiviert: „Die haben uns toll aufgenommen, gar nicht kritisiert, sondern uns einfach unterstützt. Die RBW hat auch geschaut, wie unser Businessplan aussehen kann und uns super auf alles vorbereitet“, lobt Devin Agca. Inzwischen kooperiert Modifox mit der Technischen Hochschule Köln, nutzt Büroflächen und Ausstattung im Coworking Space des Gateway-Gründungservice der TH in Köln-Deutz. Gefördert wird Modifox darüber hinaus durch das EXIST-Gründungsstipendium des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz.
Nachhaltigkeit als Grundprinzip
Die Schuhe von Modifox werden in einer Manufaktur in Portugal produziert mit nachhaltigen Materialien. Der Oberschuh ist aus Tencel gefertigt, also organische Wolle, die kompostierbar ist. Auch die Sohle kann recycelt werden. Außerdem kann der modulare Schuh komplett auseinandergenommen werden, betont Devin Agca: „Bei normalen Schuhen hat man 60 verschiedene Materialien, die man nie voneinander trennen kann. Bei uns ist das anders, sodass wieder einen komplett neuen Schuh herstellen können mit der Zugabe von nur wenigen Prozent. Das ist sehr viel nachhaltiger und umweltfreundlicher.“ Der Kunde kann außerdem einfach eine Sohle an die Manufaktur zurückgeben, wenn sie durchgelaufen ist. „Wenn der Oberschuh noch gut ist, muss man ihn nicht wegwerfen, sondern kann nur die Sohle ersetzen“, so Agca.
Außerdem achtet Modifox auf einen besseren CO2-Abdruck: „Wir wollen ein sehr viel nachhaltigeres Produkt schaffen, das die Schuhbranche von diesen hohen CO2-Emmissionen befreien kann.“ Die Produktion in der Schuhindustrie ist extrem dreckig, vor allem für die Produktion von Sohlen seien fossile Brennstoffe nötig, sagt Agca. Zusätzlich gibt es eine riesige Überproduktion an Schuhen. Modifox hat sich deshalb auf die Fahne geschrieben, mit wenig mehr zu machen – das macht das Konzept nachhaltig: „Wir sagen, wir können einen Laufschuh, einen Hausschuh, einen Arbeitsschuh oder einen Straßenschuh mit wenigen Komponenten ersetzen, die wir nachhaltig herstellen, die aber auch so kombiniert werden können, dass sie weniger Ressourcen verbrauchen“, erklärt Devin Agca das Prinzip.
Der Schuh mit dem besonderen Klick
Kickstarter-Kampagne: Wer kauft die Schuhe?
Devin Agca und sein Team glauben an ihr Produkt – aber wer kauft es? Antworten brachte im November eine Crowdfunding-Kampagne. Modifox hat dabei Schuhe für 17.000 Euro verkauft. Der Vorteil für Agca: „Wir wussten genau, wie viele Kunden wir am Ende haben, deren Größe, Farbwunsch und dass wir nicht ins Blaue hinein produzieren.“ Aber: Um in Produktion gehen zu können, reichen die 100 bestellten Schuhe nicht. Modifox muss also neue Kundschaft generieren und fragt sich erstmals: Welche Zielgruppe sprechen wir eigentlich an? Diese klare Definition fehlte bisher. „Das ist das Schlimmste, was man machen kann. Noch schlimmer war, dass wir das eigentlich schon vorher wussten: Wir brauchen eine nischige Zielgruppe, die das Produkt nicht nur mag, sondern liebt und mit der wir als Markenbotschafter starten können“, sagt Agca rückblickend. Also haben er und sein Team sich umgesehen – und sind auf Booten gelandet.
Der Marine-Markt: Vom Hausschuh zum Jachtschuh
Es ist kein Zufall, dass Devin Agca den Marathon jetzt im Frühjahr in Malta läuft, vor der Kulisse zahlreicher Jachten. Modifox hat den Marine-Markt für sich entdeckt und er entwickelt sich in den letzten Monaten immer stärker, sagt Agca. „Also habe ich gesagt, warum nicht den Marathon am Meer laufen, direkt vor ein paar Jachten, wo die Kundschaft direkt vor Ort ist.“ Wieso der Marine-Markt? Während der Kampagne gab es vermehrt Rückmeldungen von Kunden aus den USA, die auf Hausbooten lebten und das Holz an Deck nicht verschmutzen wollten. „Wir dachten, ok, spannend! Man trägt auch Schuhe auf dem Boot. Also könnten wir auch den ersten Dock- und Deck-Schuh entwickeln, wenn Nachfrage dafür besteht.“ Also hat Devin Agca Klinken geputzt. Er hat die Messe für Marineequipment in Amsterdam besucht, den Prototyp von Modifox präsentiert und ist auf reges Interesse gestoßen.
Der Hausschuh mit warmem Innenfutter war schnell umfunktioniert zu einem Bootsschuh mit rutschfester Sohle, luftdurchlässigem und wasserabweisendem Obermaterial. Mit seinem modularen Bootsschuh an den Füßen ist Devin Agca dann durch die großen Jachthäfen dieser Welt getingelt und hat sein Produkt den Jachtcrews vorgestellt. „Ich habe mit über 57 Jachten gesprochen – Dock-Walking nennt man das. Und ich konnte mit den Schuhen an den Füßen immer direkt zeigen, wie es funktioniert. Das Interesse war immer direkt da. Nachdem ich den ersten Kapitän einer großen Jachtcrew überzeugt hatte, war er meine Referenz, um jede große Jachtcrew in Europa anzusprechen.“ Die Strategie ist aufgegangen: Als das Interesse der Crews da war, kamen auch die Uniformmarken, die die Jachtcrews ausstatten und zeigten Interesse. Modifox arbeitet jetzt mit acht Uniformmarken in Mallorca, Griechenland, Italien und den USA zusammen. So konnte die Mindestbestellmenge von 1000 Schuhen erreicht werden und der modulare Schuh von Modifox kann in Produktion gehen. Mitte April werden die Schuhe begleitet von der Marathon-Kampagne ausgeliefert, so der Plan.
On the run: Modifox macht den Realitycheck
Wie geht es jetzt weiter? Produziert Modifox modulare Hausschuhe oder doch eher nischige Bootsschuhe? Auch von Campern steigt die Nachfrage nach dem Schuh für drinnen und draußen. „Wir wollen uns dieses Jahr ein Fundament aufbauen. Hybrider Hausschuh, Bootsschuh, Schuhe für Camper – wir testen diese verschiedenen Segmente und schauen, was am spannendsten ist. Dann wollen wir uns spezialisieren und diesen Markt bedienen“, sagt Dennis Agca. Seine Wunschvorstellung: Produkte für verschiedene Anwendungsbereiche entwickeln, die aber unter einem Dach zusammengeführt werden. Der Kunde kann alle miteinander kombinieren – ihm bleibt es überlassen, welches Design er möchte.
Aber: Die Gründer stellen sich auch die Frage, womit sie sich am meisten identifizieren können. Stichwort Super-Jachten: „Hobby- und Sportsegler könnte ich als Kundschaft unterstützen. Bei Super-Jachten, die hundert Millionen Euro kosten, hat das dann nichts mehr mit meinem persönlichen Weltbild zu tun. Da gibt es also ein Nachhaltigkeitsproblem“, sagt Agca. Könne man das Geld dieser Menschen in die richtigen Bahnen lenken, dass es nachhaltiger wird, habe man immer noch einen Case, sagt Agca. „Wenn aber der Luxus im Vordergrund steht ohne den globalen Blick auf Ökologie und Soziales, dann haben wir da nichts verloren.“ Das passe nicht zur Unternehmensphilosophie. Er möchte ein nützliches Produkt entwickeln, das Menschen gerne benutzen und das ihr Leben vereinfacht. „Das ist mein allergrößtes Ziel. Nur dann hat ein Unternehmen eine Daseinsberechtigung, wenn es ein nützliches, wertvolles Produkt anbietet. Und da sind wir gerade dabei, herauszufinden, wie nützlich unser Produkt ist“, so der Wunsch von Devin Agca.
Das Interesse ist bisher groß, dafür sorgt auch der Marathon auf Malta: Modifox ist inzwischen offizieller Partner des Marathons, außerdem finanzieren mehrere Sponsoren den Lauf von Devin Agca. Wieder eine Strategie, die aufgegangen ist. Jetzt muss Devin Agca am 24. März nur noch sportlich zeigen, was er drauf hat: „Eine Zeit unter 4 Stunden wäre ganz nett“, lacht Agca. Seine modularen Schuhe werden ihn über die Strecke tragen.