Die CSRD der EU, die Verpflichtung zur Nachhaltigkeitsberichterstattung, treibt derzeit viele Unternehmen im Bergischen um. Bei der Auftaktveranstaltung der Rheinisch-Bergischen Wirtschaftsförderungsgesellschaft mbH (RBW) und der Wirtschaftsförderung Oberbergischer Kreis zur neuen Formatreihe „Nachhaltigkeitsbericht im Blick“ gab es neben Informationen vor allem einen überraschenden Wechsel der Blickrichtung: Die Pflicht eröffnet viele Perspektiven, um das eigene Unternehmen resilient für die Zukunft zu machen – sozusagen „enkelfähig“ – und bietet handfeste Vorteile für die eigene Geschäftstätigkeit.
Zugegeben, der Begriff ist sperrig. 30 Buchstaben für ein Wort: Nachhaltigkeitsberichtspflicht. Auch das Thema scheint sperrig, solange sich Unternehmen nur mit den reinen Gesetzen und Vorschriften beschäftigen, die zeitlich nun akut werden. „Wir haben sehr schnell gemerkt, dass die Fragen immer mehr wurden“, sagt Volker Suermann, Geschäftsführer der RBW. „Daher haben wir reagiert und gemeinsam mit der Wirtschaftsförderung Oberberg die Formatreihe ‚Nachhaltigkeitsbericht im Blick‘ aufgesetzt“. Licht ins Dunkel zu bringen, war das Ziel der Auftaktveranstaltung am 15. April im Spiegelsaal des Bergischen Löwen in Bergisch Gladbach. Vorangegangen war eine identische Veranstaltung im Oberbergischen Kreis genau eine Woche vorher.
Zum Licht gehörte insbesondere, das Thema mit praktischem Leben zu füllen und die Beantwortung der folgenden Fragen:
- Bin ich überhaupt betroffen?
- Worum geht es genau?
- Wozu nutzt es mir selbst?
- Womit fange ich an und wie gehe ich vor?
- Wer soll es machen und wer oder was hilft uns?
- Wie geht es weiter?
Als kompetente „Erheller“ hatten Lisa Bartkowiak (Rheinisch-Bergische Wirtschaftsförderungsgesellschaft mbH) und Pauline Rothstein (Wirtschaftsförderung Oberberg), beide verantwortlich für das Thema Nachhaltig(es) Wirtschaften, Fachleute eingeladen, die sich bereits länger mit dem Thema beschäftigen.
v.l.n.r.: Stefan Huesmann ( Kreissparkasse Köln), Stephanie Thiele (INDUS Holding AG), Thomas Bernhardt, (dhpg Wirtschaftsprüfer Rechtsanwälte Steuerberater GmbH & Co. KG ), Lisa Bartkowiak (Rheinisch-Bergische Wirtschaftsförderungesgesellschaft mbH) , Dr. Nicole Freiberger (Effizienz-Agentur NRW), Pauline Rothstein (Wirtschaftsförderung (Oberbergischer Kreis)
Die Vortragenden:
Thomas Bernhardt, Wirtschaftsprüfer, dhpg Wirtschaftsprüfer Rechtsanwälte Steuerberater GmbH & Co. KG, mit einem ausführlichen Impulsvortrag zum Thema Nachhaltigkeitsberichterstattung
Dr. Nicole Freiberger, Beraterin für Ressourceneffizienz, Effizienz-Agentur NRW, mit dem Thema CO2-Bilanzierung als Grundlage für die Nachhaltigkeitsberichterstattung und der Essenz, dass es mehr Chancen als Pflichten im Thema gibt.
In der moderierten Runde „Einblicke in die Praxis“:
Stefan Huesmann, Firmenkundendirektor, Kreissparkasse Köln
Stephanie Thiele, Nachhaltigkeitsbeauftragte, INDUS Holding AG
Die Wirtschaftsförderer:
Volker Suermann, Geschäftsführer, Rheinisch-Bergische Wirtschaftsförderungsgesellschaft mbH (RBW)
Lisa Bartkowiak, Projektleiterin „Nachhaltig Wirtschaften“, Rheinisch-Bergische Wirtschaftsförderungsgesellschaft mbH (RBW)
Pauline Rothstein, Projektleiterin „Nachhaltiges Wirtschaften“, Wirtschaftsförderung Oberbergischer Kreis
Vorab: Dieser Beitrag wird ergänzt durch die beiden Präsentationen von Dr. Nicole Freiberger und Thomas Bernhardt mit vielen detaillierten Informationen zum Nachschlagen, die den Umfang an dieser Stelle sprengen würden. Einige Informationen sind zudem in aufklappbaren Boxen abrufbar. Und nun zu den spannenden Fragen – und zu vielen Antworten.
1. Bin ich überhaupt betroffen?
Kurz gesagt: Ja. Oder, wie es Dr. Nicole Freiberger von der Effizienz-Agentur NRW ausdrückte: „Daran vorbei kommt niemand mehr.“
Dabei geht es um Zweierlei. Zum einen um die gesetzlichen Vorschriften: CSRD ist aktuell bereits verpflichtend für alle (Mutter-) Unternehmen, die bereits dem Vorgängerbericht NFRD unterliegen. Das sind insbesondere große Kapitalgesellschaften mit über 500 Mitarbeitern. Ab 2025 gilt die Berichtspflicht nicht mehr nur für kapitalmarktorientierte Unternehmen, sondern – nach Anpassung der Zahlen im Oktober 2023 – für alle Unternehmen, die zwei der drei folgenden Größenkriterien erfüllen: Bilanzsumme von mindestens 25 Millionen Euro, Nettoumsatzerlöse von mindestens 50 Millionen Euro, mindestens 250 Beschäftigte. „Das betrifft alle haftungsbeschränkten Unternehmen“, ergänzt Wirtschaftsprüfer Thomas Bernhardt von der dhpg. Kapitalmarktorientierte KMU folgen dann ein weiteres Jahr später.
Nicht per Gesetz, aber innerhalb der Lieferkette Betroffene
Zum anderen geht es darum, Teil eines größeren Prozesses zu sein. „Wer von Ihnen hat denn von seinen Kunden schon mal diesen 60-Seiten-Bericht auf den Tisch bekommen“, fragt Nicole Freiberger. In dieser Runde niemand. Bei der Veranstaltung in Oberberg waren es immerhin sieben meist produzierende Unternehmen. „Es ist aber die Regel“, sagt die Expertin. „Eigentlich schon seit Jahren. Es taucht jetzt nur massiver auf. Und: Die mittelbar Betroffenen werden mit diesen Themen überfallen werden.“ Meist geht es darum: Der Hersteller will sein Produkt mit einem CO2-Fußabdruck bilanzieren und fragt Zulieferer, Lieferanten & Co: Wie viel CO2 entsteht denn bei euch? „Durch die Wertschöpfungskette können Sie aufgefordert werden, Informationen beizusteuern“, bestätigt auch Bernhardt. Die Hersteller müssten ihre Sorgfaltspflichten in der Lieferkette sichern.
Ob betroffen oder nicht: Jetzt auf den Weg machen!
Stefan Huesmann von der Kreissparkasse Köln hat Einblick in viele verschiedene Firmen. „Derzeit haben wir ein sehr heterogenes Bild“, sagt er. „Unternehmen, die früher betroffen sind oder getrieben durch ihr Geschäftsmodell, das sie nachhaltiger gestalten müssen; mit ihnen Kunden, Lieferanten und viele KMU, die als Teil der Lieferkette schon sehr früh angefangen haben.“ Andere, zum Beispiel Dienstleistungsunternehmen, kämen langsam nach. Auch Kommunen würden sich auf den Weg machen, hätten aber durchaus schon viele Initiativen begonnen. „Beruhigen möchte ich aber keinen, denn es ist nicht mehr so viel Zeit“, sagt Huesmann. „Allerspätestens jetzt sollte man sich auf den Weg machen und sich vorbereiten.“
2. Worum geht es genau?
Kurz: Um die Pflicht, die eigene Nachhaltigkeit zu dokumentieren.
Durch die schrittweise verpflichtenden Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) werden seit dem 1. Januar 2024 standardisierte und verständliche Informationen über Nachhaltigkeitsleistungen verlangt, um die wachsende Nachfrage nach transparenten und verlässlichen Daten zu befriedigen. Dazu gehört auch, dass der Bericht von einem Wirtschaftsprüfer geprüft werden muss. „2021 kam der Entwurf heraus, seit Anfang 2023 ist die Richtlinie in Kraft“, sagt Thomas Bernhardt. „Das ist für europäische Verhältnisse wirklich sehr schnell.“ Die CSRD bedarf einer Umsetzung in nationales Recht, was in Deutschland noch nicht erfolgt ist. „Es ist Zeit bis Anfang Juli“, sagt Bernhardt. Im HGB würden dann umfangreiche Vorschriften eingefügt. Die Betroffenen bräuchten jedoch für die Berichterstattung nicht auf die nationale Umsetzung der Richtlinie zu warten. „Die Inhalte, die für Sie relevant sind, sind davon gar nicht berührt“, so Bernhardt.
Was genau bedeutet hier Nachhaltigkeit?
Die sogenannten ESG-Kriterien dienen als Rahmenwerk zur Bewertung von Nachhaltigkeit im CSRD. ESG steht für Environmental, Social, Governance. Diese Kriterien werden von Investoren, Kunden und anderen Stakeholdern verwendet, um die Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung von Unternehmen zu bewerten. „ESG ist weit mehr als ‚nur‘ Umwelt“, sagt Bernhardt. „Die Aspekte Soziales und Unternehmensführung sollen viel Raum erhalten.“ Es sei „die ganze Palette“ der Nachhaltigkeit zu betrachten. Von der Menge der Daten her seien die drei Bereiche sehr ähnlich.
Mit den European Sustainability Reporting Standards (ESRS) werden die gesetzlichen Anforderungen seitens der EU mit den verbindlichen europäischen Berichtsstandards einheitlich festgesetzt. Sie umfasst 82 Angaben mit 127 Kennzahlen, von denen über 50 Prozent für Unternehmen verpflichtend sind. Zu den Datenpunkten gehören unter anderem der Energieverbrauch und die Treibhausgasemissionen (CO2-Bilanz), Wasserverbrauch, Abfallmanagement, Lieferkette, die sozialen Auswirkungen und auch die Einbindung der Mitarbeitenden. Die ESRS enthalten das Konzept der doppelten Wesentlichkeit. Berichtet werden muss im ESEF, dem einheitlichen europäischen elektronischen Berichtsformat.
Die Prozesse zur Ermittlung der Informationen müssen ebenfalls dokumentiert werden. Bernhardt mahnt: „Eine frühzeitige Etablierung von Prozessen zur Datenerhebung und Berichterstattung ist zwingend erforderlich!“
Entscheidend ist die doppelte Wesentlichkeit
Das Herzstück der Berichterstattung ist das Prinzip der doppelten Wesentlichkeit. Das bisherige Prinzip der Wesentlichkeit bezog sich nur auf die finanziellen Auswirkungen von Nachhaltigkeitsfaktoren auf Finanzen und Unternehmenstätigkeit (Outside-in), zum Beispiel, wie sich Extremwetterereignisse auf die Geschäftstätigkeit auswirken können. Dazu kommt nun der umgekehrte Aspekt, nämlich die Auswirkungen der eigenen Finanz- und Unternehmenstätigkeit auf Nachhaltigkeitsaspekte (Inside-Out), zum Beispiel durch CO2-Ausstoß oder – positiv – durch eine Verbesserung der Arbeitssicherheit im Rahmen der Geschäftstätigkeit.
Mehr als 30 Interessierte kamen zur Auftaktveranstaltung der Reihe "Nachhaltigkeitsbericht im Blick"
3. Wozu nutzt es mir selbst?
Kurz: Entdeckte Potenziale für den Nachhaltigkeitsbericht nutzen auch dazu, sich als Unternehmen gut aufzustellen und zu entwickeln.
Eine häufige Frage an ihn, sagt Thomas Bernhardt, sei: „Mit welchen Sanktionen muss ich rechnen, wenn ich das nicht mache?“ Auch wenn die Frage mit „kein oder eingeschränkter Prüfungsvermerk“ korrekt beantwortet werden kann, halten die Vortragenden schon die Frage für falsch. Die bessere Antwort, so Dr. Nicole Freiberger, sei daher: „Nutzen Sie die Chancen, bevor Sie über die Pflichten stöhnen!“ Nachhaltigkeit – von Klimaveränderungen bis zu Mitarbeiterbindung – ist in aller Munde, und es wird auch nicht mehr verschwinden. Die Richtlinie der EU ist keine Schikane, sondern hat viele gute Gründe. Die Pflicht, sich bewusst und strukturiert mit dem Thema zu beschäftigen, ist gleichzeitig eine große Chance. Es geht nicht allein um einen Beitrag für Umwelt und Gesellschaft, sondern auch um handfeste Vorteile bei der eigenen Geschäftstätigkeit.
„Denken Sie nicht als erstes an den Bericht!“, rät Freiberger daher eindringlich. „Das ist etwas, was in die Schublade kommt oder was man ins Regal stellt. Denken Sie daran, welche Maßnahmen sich für Sie ergeben: Ressourcen minimieren oder schonender einsetzen, Effizienz erhöhen, Lebenszyklen verlängern – das bringt sie wirklich weiter!“ Der Bericht entstehe dann quasi „nebenbei“.
Wir sortieren mal:
„Es geht um Enkelfähigkeit“, sagt Thomas Bernhardt, „darum, ein Unternehmen zukunftsfähig zu machen. Kann es auch in zehn Jahren noch wirtschaftlich unterwegs sein?“ Die Herausforderungen durch Transformation und externe Ereignisse sind groß, und sie werden nicht weniger, wie seine Grafik der heutigen und zukünftigen Risiken aufzeigt. „Die Risikolandschaft ist bunter geworden“, betont er. Vermehrt ginge es auch um soziale Aspekte oder auch um Themen wie Missinformation und Cyber Security. Sich dieser Risiken bewusst zu werden und Maßnahmen zu ergreifen, ist nichts anderes als nachhaltiges Handeln für die Zukunft.
„Der deutsche Mittelstand agiert aus seiner DNA heraus schon oft sehr nachhaltig, hat das aber gar nicht so auf dem Schirm“, sagt Stephanie Thiele von INDUS. Wer sich als KMU bereits auf den Weg zur eigenen Nachhaltigkeit gemacht hat – und das sind im Bergischen viele – erhält durch die Richtlinie Verkehrsschilder und Roadmaps. Oder, wie Nicole Freiberger es ausdrückt: „Ganz viele Geschäftschancen, ganz viel Zukunft!
Die INDUS Holding gehört bereits in diesem Jahr zu den Berichtspflichtigen. Stephanie Thiele kann daher aus erster Hand berichten, was die in den vergangenen zweieinhalb Jahren ergriffenen Maßnahmen neben der Pflichterfüllung genutzt haben: „Wir haben positive Erfahrungen gemacht – auf jeden Fall!“, sagt sie. Dazu gehörten Darlehen zu besseren Konditionen, Effizienzsteigerung und neue Kunden durch das Alleinstellungsmerkmal. „Es gibt gute Beispiel, wo es sich wirtschaftlich lohnt“, fasst sie zusammen.
Nicole Freiberger hat noch mehr Beispiele. „Es geht darum, die Perspektive zu wechseln“, sagt sie. Aus dem anderen Blickwinkel ergäben sich „eine ganze Menge Dinge, bei denen ich Potenzial habe, mich zu verbessern und zu entwickeln.“ Zum Beispiel würden sich aus der Betrachtung des CO2-Fußabdrucks Maßnahmen zur Ressourcenoptimierung ergeben. Oder aus einer geringeren Prozesstemperatur im Hochregallager eine Minimierung der Durchlaufzeiten. Maschinenauslastung, Instandhaltung, Digitalisierung, zirkuläres Design – all das zahle auf Treibhausgasemissionen ein, aber eben nicht nur. „Es wird sehr oft in beiden Währungen gemessen“, sagt sie. „Euro und CO2 – Sie können also mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen!“
Und die Kosten?
Demgegenüber stehen die Kosten für die Erstellung, und diese sind sehr individuell und damit sehr unterschiedlich. „Wir mussten bei INDUS 50 Unternehmen mitnehmen“, berichtet Stephanie Thiele. „Daher gab es viele Ansprechpartner und Kommunikationsmeetings. Der Aufwand dafür ist schwer zu beziffern.“ Die Zusammenarbeit mit einer Beratung kostet das Unternehmen rund 10.000 Euro im Jahr. Klar ist jedoch auch: Steht das Grundgerüst und wird das Neue zur Routine, wird sich der Aufwand relevant verringern.
Nachhaltigkeit und natürlich auch Wirtschaftlichkeit betreffen nicht nur die Produktion. Kunden suchen – teils auch durch die Auswirkungen der eigenen Berichtspflicht – vermehrt zukunftssichere und nachhaltige Lieferanten. „Bitte der Ausschreibung die CO2-Bilanz beilegen“ werde eine immer häufigere Anmerkung, berichtet Nicole Freiberger, und damit durchaus für Kunden zum Entscheidungskriterium. Das gilt explizit auch für jene Unternehmen, die gar nicht berichtspflichtig sind, sich aber innerhalb einer Lieferkette befinden.
Auch Konsumenten legen immer mehr Wert auf nachhaltiges Wirken der Hersteller. Unschwer lässt sich dies an diversen Aufschriften auf Konsumgütern in den Handelsregalen erkennen, oder auch mal daran, wie schnell ein Produkt oder Unternehmen bei Verstößen in den Shitstorm-Reigen bei Social Media gerät.
Bei Mitarbeitenden stellt insbesondere bei jüngeren Menschen die Nachhaltigkeit auch ein Entscheidungskriterium bei der Jobsuche dar. „Da gibt es diverse Studienergebnisse“, sagt Thomas Bernhardt. „Hochschulabsolventen fragen beispielsweise in Bewerbungsgesprächen aktiv nach, wie gut das Unternehmen da aufgestellt ist.“ Wer dann zu ein paar Worten auch Nachhaltigkeitsdokumentation mit auf den Weg geben kann, ist im Vorteil auf dem schwierigen Markt des Fachkräftemangels.
Werden die Mitarbeitenden in den Prozess der Datenerhebung eingebunden und hat das Thema auch das Commitment der Geschäftsleitung, können Nachhaltigkeit und „Enkelfähigkeit“ als gemeinsam getragenes Ziel auch der Unternehmenskultur einen merklichen Anschub geben.
Hat der Nachhaltigkeitsbericht Einfluss auf Kreditvergaben? „Nein“, sagt Stefan Huesmann von der Kreissparkasse. Bei Kreditentscheidungen sei dieser noch nicht zwingend erforderlich. Das „noch“ erklärt er so: „Die Regulatorik hält auch in unseren Vergabestandards Einzug. Perspektivisch wird das sicher an Bedeutung zunehmen.“ Werde das Rating mit Informationen aus dem Bericht angefüttert, könne sich der Kunde in jedem Falle besser darstellen.
Ziel der EU-Richtlinie ist unter anderem, dass Nachhaltigkeit transparenter werden soll, damit Kapital in nachhaltige Investments fließt. Je mehr dieses Ziel erreicht wird, desto mehr Auswirkungen wird der Nachhaltigkeitsbericht auf Investitionsentscheidungen haben – und umgekehrt. Vielleicht reicht es auch bereits, wenn er einfach nur zum etablierten Instrument für Unternehmen wird.
Der Nachhaltigkeitsbericht enthält strukturierte und vergleichbare Daten. Daher eignet er sich hervorragend als Prüfinstrument. „Man nutzt ihn jedes Jahr wieder, um zu sehen, wie habe ich mich denn verbessert? Das kennen Sie eigentlich aus Ihren anderen Pflichten auch“, so Nicole Freiberger. Zudem sei er nicht nur ein Ist-Bericht, sondern auch eine Prognose, welche Auswirkungen beschlossene Maßnahmen haben werden.
Die Vergleichsmöglichkeit über die Jahre ermöglicht es, den eigenen Maßnahmenkatalog bewerten und anpassen zu können, so dass aus der Prüffunktion gleichzeitig ein Planungsinstrument wird.
Der Umgang mit Nachhaltigkeit hat Einfluss auf die Außenwirkung des Unternehmens. Das ist bereits ohne verpflichtenden Bericht so. „Sie machen nun aber an realen Daten und mit ganz handfesten Argumenten klar, dass Sie sich hier weiterentwickeln“, erklärt Nicole Freiberger. Die Gefahr des Greenwashing-Vorwurfs kann so ebenfalls reduziert werden.
Gerade in der Anfangsphase können sich durch gutes und zügiges Handeln Wettbewerbsvorteile ergeben – oder umgekehrt ein Nachsehen. „Die Konkurrenz schläft nicht“, sagt Nicole Freiberger. „Alle haben die gleichen Chancen. Wer sich frühzeitig damit auseinandersetzt, ist im Vorteil.“
Die Versuchung ist groß, seinen eigenen Vorteil durch einen Vergleich der Zahlen mit der Konkurrenz zu ziehen. Teilweise werde das auch gemacht, so Nicole Freiberger. „Eigentlich geht das aber nicht“, sagt sie, da alle selbst in den gleichen Branchen individuell seien. „Sie dürfen sich mit sich selbst benchmarken - von einem Jahr zum anderen, aber nicht mit dem Konkurrenten aus der Branche, der etwas ähnliches herstellt“. Hier solle man zumindest äußerst vorsichtig und sorgfältig sein.
Thomas Bernhardt bringt noch eine ganz andere Ebene ins Spiel: „Im internationalen Kontext gibt es ähnliche Bewegungen, aber Europa hat derzeit eine Vorreiterrolle.“ Allerdings sei man im asiatischen Raum „bereits sehr weit“. Selbst China habe eine Regulatorik aufgesetzt und werde schnell aufholen. „Wir können uns nicht mehr darauf ausruhen, dass andere Länder da nichts machen“, so Bernhardt.
„Ausgangspunkt für Verbesserungen sind auch Ausgangspunkte für Berichte“, sagt Nicole Freiberger, die genau diese Reihenfolge bevorzugt. Wer die Chance nutzt, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen, um Ziele und Themen zu definieren, die für das Unternehmen von Vorteil sind, hat es mit der verpflichteten Dokumentation nicht mehr allzu schwer.
„In einem Kältekonzept steckt mehr drin als die Energie, es hat auch Einfluss auf Art und Menge eingesetzter Materialien – alles hat wieder Auswirkungen auf die CO2-Bilanz“, sagt sie. Es muss in den Bericht nur noch reingeschrieben werden. Viele weitere Beispiele finden sich in der Präsentation von Nicole Freiberger.
4. Womit fange ich an und wie gehe ich vor?
„Warum muss ich das denn jetzt machen? Ich mache das doch schon alles!“, lautet ein häufiger Seufzer der Klienten von Wirtschaftsprüfer Thomas Bernhardt. Dabei gibt es darüber eigentlich Grund zur Freude. „Es ist wirklich vieles da“, sagt Bernhardt, „und das merken die Unternehmen auch, wenn sie erstmal beginnen.“
Am Anfang steht das Wesentliche
Das Beginnen beginnt nach einhelliger Meinung aller beim Herzstück, nämlich der Wesentlichkeitsanalyse. „Wichtig ist der Blick auf die zentralen Themen“, sagt Bernhardt. “Danach erst kommt: Wie sind unsere Prozesse und was brauchen wir, um diese Themen zu dokumentieren.“
Am Anfang steht der Perspektivwechsel mit Blick auf die Zukunft, so Dr. Nicole Freiberger. „Man muss sich erstmal klar werden: Wir brauchen eine Strategie!“ Viele haben auch bereits eine. Es werde jedoch häufig vernachlässigt, diese nochmal auf den Prüfstand zu stellen. Die Treibhausgas-Bilanzierung sei dabei ein gutes Hilfsmittel, sich ein genaues Bild von sich selbst zu machen und darüber die richtigen Ansatzpunkte zu finden. Immerhin fünf der anwesenden Unternehmen machen diese bereits. Sie haben bereits einen guten Grundstock für den Bericht.
Wenn sich keine bestehende Strategie aufdrängt und/oder der Überblick über einzelne Themen fehlt, empfiehlt die Expertin folgende simple Methode: Nehmen Sie eine freie Wand im Aufenthaltsraum. Jeder soll draufschreiben, was ihm an kleinen und großen Bausteinen, die mit Nachhaltigkeit zu tun haben, einfällt. Sammeln Sie ganz pragmatisch. Jeder aus dem Betrieb, egal aus welchem Bereich, ist angehalten mitzuwirken. Am Ende werden alle überrascht sein, was Sie eigentlich schon in petto haben. Führen Sie systematisch zusammen – dann werden Sie Zusammenhänge erkennen und können sich auf das Wesentliche konzentrieren.
Rahmenbedingungen entscheiden mit
Ein one-fits-all im Ablauf gibt es eher nicht. Zu unterschiedlich sind die Voraussetzungen.
Die INDUS begann mit der doppelten Wesentlichkeitsanalyse und konzentrierte sich danach auf drei Themen. „Zunächst haben wir nach Kennzahlen geschaut, die wir bislang schon erhoben hatten“, berichtet Stephanie Thiele. „Das war schon sehr viel. Im sozialen Bereich hatten wir nachzuholen.“ Danach habe sich die Frage gestellt, wie viele Kennzahlen berichtet werden sollen. „Man muss ja nicht alle haben“, sagt sie. „Wir wollten dann aber alle erheben und über alle berichten!“ Warum? Weil sie die Beteiligung einer großen Zahl kleiner bis mittelgroßer Mittelständler nicht scheibchenweise vornehmen wollten. Das Motto also: Wenn, dann rollen wir das jetzt einmal aus.
Bei anderen, zum Beispiel auch die, die nur als mittelbar Betroffene ihre Kunden bedienen wollen, geht es in erster Linie um pragmatische und schnell umzusetzende Wege.
Was sind die Herausforderungen?
Auch hierzu hat Stephanie Thiele etwas zu berichten: „Die größte in den letzten zweieinhalb Jahren war die Dynamik der Regulatorik“, sagt sie. „Anfangs gab es nur vorläufige Gesetzestexte, alle auf Englisch. Später stimmten die Übersetzungen teilweise nicht - das fand ich extrem anstrengend.“ Zumal sie den zahlreichen Ansprechpartnern in der Gruppe jede Klar- und Unklarheit vermitteln musste. „Da ging dann manchmal der positive Aspekt der Nachhaltigkeit verloren“, sagt sie. „Es ist dann auch eine Herausforderung, diese trotzdem herauszustellen.“
Weniger ist anfangs mehr
Zum Schluss plädiert Nicole Freiberger für so etwas wie achtsame Geduld. Wenn noch nicht alles da sei, solle man Schritt für Schritt Transparenz aufbauen und sich annähern. „Das kann auch spannend sein – und vor allem sehr aufschlussreich“, sagt sie.
Die Prüfer, so Thomas Bernhardt, seien übrigens mit Augenmaß unterwegs. In den ersten Jahren sei es sinnvoller, vollumfänglich über Weniges zu berichten, als das komplette Themenfeld lediglich anzureißen.
5. Wer soll es machen und wer hilft uns?
Auch in welchem Bereich und bei welchen Menschen das Thema am besten aufgehoben ist, muss jedes Unternehmen für sich selbst herausfinden. Stefan Huesmann nennt aus der Praxis Nachhaltigkeitsbeauftragte, Mitarbeiter aus Qualitätsmanagement oder auch Controlling/Rechnungslegung. Bei kleineren Unternehmen stelle sich die Frage nach den freien Ressourcen. „Das ist schon umfangreich, das kann nicht nur eine Person ‚mal eben mitmachen´“, sagt er. Als Erfolgsmodell kristallisiere sich ein Team aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen heraus: zum Beispiel Energiemanagement, Gebäudemanagement, Personalabteilung/HR, Führungskräfte, Compliance Abteilung und so fort.
Da die Aufgabe sei, eine Strategie zu setzen, hält Nicole Freiberger es für sinnvoll, auch über externe Unterstützung nachzudenken. Dabei ginge es insbesondere um den „hilfreichen, neutralen Blick, der auch von außen draufguckt“.
Stephanie Thiele gibt nach zweieinhalb Jahren Erfahrung diesen Rat: „Die Funktion ist gar nicht so wichtig, sondern die intrinsische Motivation der Menschen. Es gibt ganz sicher in jedem Unternehmen Menschen, denen Nachhaltigkeit wichtig ist. Solche Leute brauchen Sie!“
Erste Hilfe
Wo gibt es Hilfestellungen zum Pack-an? Nicole Freiberger stellte kurz das Tool ecocockpit.de vor, das eine praktische Hilfe bei folgenden Fragen bietet: Was brauche ich? Wie gehe ich vor? Welche Daten muss ich sammeln? Welche auswerten? Wo muss ich Bilanzgrenzen ansetzen? Worauf habe ich Zugriff und Einfluss? „Denn“, so Freiberger, „daraus sind auch Maßnahmen abzuleiten, und das ist das Wichtige.“
Für die CO2-Bilanz zeigte sie eine Reihe Datenquellen auf, insbesondere für Substanzen bei der Produktherstellung (vgl. Präsentation).
Die EU hat ergänzende Hilfsmittel in Auftrag gegeben, zum Beispiel zur Wesentlichkeitsanalyse und rund um die Wertschöpfungskette gibt es Hilfestellung.
Das soll zunächst aber nur ein Anfang sein. Immerhin handelte es sich hier um eine Auftaktveranstaltung. Und damit wären wir beim letzten Punkt:
Volker Suermann, Lisa Bartkowiak und Pauline Rothstein bieten ihre Hilfe an!
5. Wie geht es weiter?
„Warum machen wir das als Reihe?“, hatte RBW-Geschäftsführer Volker Suermann bei seiner Einführung gefragt. „Weil das Thema nicht an einem Nachmittag abgehandelt ist, sondern die Unternehmen immer wieder beschäftigen wird. Wir werden es kontinuierlich weiterentwickeln.“
Und auch wenn an diesem Nachmittag bereits sehr viele Informationen, Anregungen und Denkanstöße geliefert wurden, so war doch jedem klar, dass das Thema Zeit, Beschäftigung und auch Unterstützung braucht.
„Der Austausch der Unternehmen untereinander ist sehr sinnvoll“, hatte Stefan Huesmann noch gesagt. Genau für diese Möglichkeit, kombiniert mit Impulsen, Wissen und praktischen Lösungen wird die Reihe „Nachhaltigkeitsbericht im Blick“ einen Rahmen setzen. Anregungen zu Themen und Formaten nehmen wir gerne in die Weiterentwicklung auf. Sprechen Sie uns an!
Die bereits feststehenden Veranstaltungen:
13. Mai 2024, 10 bis 17 Uhr: Ressourceneffizienzsprechtag
Themen: CO2-Bilanzierung, zirkuläre Wertschöpfung , Fördermittelberatung, Informationen
17. Juni 2024, 10 bis 15 Uhr: CO2-Bilanzierung mit dem ecocockpit
Die Veranstaltung findet in Präsenz statt. Dabei wird mit dem Tool ecocockpit praktisch und pragmatisch ein Alltagsbeispiel bilanziert. Wenn Sie Interesse an unserem Unterstützungsangebot zur Thematik haben, sprechen Sie uns gerne an!
Die Präsentationen der Refernten stehen hier zum Download bereit:
Impuls Nachhaltigkeitsberichterstattung
Thomas Bernhardt, Wirtschaftsprüfer, dhpg Wirtschaftsprüfer Rechtsanwälte Steuerberater GmbH & Co. KG
Treibhausgas-Bilanzierung als Grundlage der Nachhaltigkeitsberichterstattung
Dr. Nicole Freiberger, Beraterin für Ressourceneffizienz, Effizienz-Agentur NRW
Autorin: Karin Grunewald
Fotos: Klaus Lawrenz